gebrochene Politikerlanze

Auch wenn Karl-Theodor zu Guttenberg ein deutscher Politiker ist, so hat sein "Fall" auch bei uns ins Österreich Beachtung gefunden.

Interessant sind die unterschiedlichen Betrachtungsweisen. Bei uns wird Deutschland wegen seiner "Rücktrittskultur" gelobt, nicht ohne jene Fälle aufzuzählen, wer und warum in Österreich schon längst zurücktreten hätte müssen. In Deutschland wird KT jedoch teilweise vorgeworfen, viel zu schnell zurückgetreten zu sein ("als Politiker muss man auch was aushalten können").

In Summe muss ich sagen, dass Politikerleben zu gläsern geworden sind - Privatsphäre, Geheimnisse, auch "Lumpereien", die jeder Bürger selbstredend hat, werden bei Politikern ohne jegliche Schamgrenze bzw. schlechten Gewissen ausgeschlachtet und breitgetreten. Nicht nur bezüglich ihres Verhaltens während ihre aktiven Zeit... auch ihr Vorleben muss perfekt sein. Es ist diese verdammte "political correctness", die sich unter dem Vorwand der Moralität sich immer mehr zu einer Waffe entwickelt.


Es stellt sich die Frage, warum junge und gute Menschen heute noch in die Politik gehen sollen. Sie müssen sich fragen: was werden sie finden - ein Seitensprung? Die Depressionen meiner Frau? Die Vorstrafe meiner Mutter? Den Nachzipf in Mathematik, eine Trennung im Streit von einer früheren Beziehung oder die kompromittierenden Fotos bei der Maturafeier mit dem Joint in der Hand?



Man muss seinen Job in der Praxis mehr oder minder rund um die Uhr zur Verfügung stehen, ist dabei immer und überall unter Beobachtung, wogegen die Verdienstmöglichkeiten im Vergleich zur Wirtschaft und den Bankern eher bescheiden sind. Es wird von einem verlangt, ständig Herz, Toleranz und ein menschliches Gespür bezüglicher der Unzulänglichkeiten seiner Bürgern zu zeigen... während man selbst im Fehlerfalle nicht auf solche Nachsicht zu hoffen braucht.

In Deutschland denken viele, dass KT ein sehr guter Minister war. Ja, es scheint als ob er bei seiner Doktorarbeit etwas falsch gemacht hat. Aber das war vor seiner Ministerzeit und die Dissertation hatte nichts mit seiner Tätigkeit als Verteidigungsminister zu tun. Was hat jetzt Deutschland von seinem Rücktritt? Sie haben damit kein einziges ihrer Probleme gelöst, sie haben nur einen fähigen Minister weniger.


Wir dürfen uns nicht wundern, warum die Qualität der Politiker gefühlt immer schlechter und schlechter wird.
Also sprach steppenhund
am Freitag, 4. März 2011, 22:35 wie folgt:

Entschuldige, da muss ich dir leider entschieden widersprechen. Dass einer seinen Job gut macht, bedeutet noch keinen Freibrief hinsichtlich bestimmter Vergehen für ihn. Du würdest sicher nicht so argumentieren, wenn er einen Mord begangen hätte. Eine Vergewaltigung? Einen Raub? Einen Diebstahl? Wo fängt die moralische Verantwortung an?
Also ein erschlichener Doktortitel ist nur eine Kleinigkeit, sollte man folgern. Es passiert schlimmeres auf der Welt, möchte man meinen.
Nun, in Deutschland mehr noch als in Österreich, hebt der Doktortitel einen aus der Masse heraus. Die Leute werden mit Dr. X angesprochen. Sie werden nicht mit Herr Diplom-Ingenieur angesprochen. In keinem Unternehmen habe ich das erlebt. Doch mit dem Doktor ist das etwas anderes, weil es eine bestimmte Art von Auszeichnung aufgrund eigener Leistung darstellt.
Ein siebzehnjähriges Mädchen wird nach einem kleinen DIebstahl im Supermarkt abgeführt. Es kann nicht sagen: tut mir leid, ich geb es zurück. Das ist aber genau die Verhaltensweise, welche die Verteidiger von Dr. zu Unrecht anführen. Er hat den Titel ja eh zurückgegeben.
Wenn er das beim ersten aufgetretenen Verdacht getan hätte, ("Tut mir leid, war eine Jugendsünde") hätte man es ihm vielleicht nachsehen können. Aber er hat tatsächlich geglaubt, mit dem Betrug durchzukommen, weil er ja sogar von der Kanzlerin unterstützt wurde. Und diese Verhaltensweise ist vielleicht noch schändlicher als der Betrug durch das Plagiieren. Es zeigt, wie ein Mensch reagiert, der sich an der Macht glaubt.
Eigentlich müssten alle Doktoren den Gegenwert von 2 Jahren, - solange werden sie im Durchschnitt gebraucht haben . vom Staat eine Kompensation einfordern. Wir haben gedacht, dass der Doktortitel etwas wert, dass er einen Nachweis bedeutet, jetzt ist alles anders. Wir haben zwei Jahre unseres Lebens weggeworfen, weil wir jetzt draufkommen, dass es eh egal ist.
Im übrigen glauben die Österreicher, dass der KHG ein sehr guter Minister war. Zumindest die Mehrzahl hat das geglaubt, als er mit seiner Schönheit noch obenauf war.
Wer KT als Minister behalten will, muss auch mit KHG einverstanden sein, denn dem hat man noch nicht einmal etwas nachweisen können.
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Ich stimme im Übrigen zu, dass die Gläsernheit heute einem Menschen in der Öffentlichkeit das Leben nahezu unerträglich machen muss. Deswegen bin ich auch keinem Politiker sein Gehalt neidig oder den Auftritt am Opernball. Doch dies rechtfertigt keinesfalls einen Gesetzesbruch.
Der Fehler geschah zu einer Zeit, als er noch nicht Minister war. Aber das Leugnen des Fehlers geschah während seiner Ausübung des Ministeramts. Und da gibt es keinen Pardon, zumindest von meiner Seite nicht!

PeZwo - 4. Mär, 23:38

das anfängliche Leugnen und Abwiegeln ist wohl eine Folge des "political correctness"-Wahns.

Ich denke, dass das so ähnlich wie bei so vielen Spitzensportlern ist... defacto niemand, der derartige Höhen erreicht, hat eine völlig weiße Weste. Irgendwo hat auch ein Politiker - so wie wir alle - irgendwelche Leichen im Keller. Kein Mensch ist derart perfekt, dass er in einem Lebensalter > 50 Jahren nicht irgendwann bzw. irgendwo etwas unter der Tuchent getan hat, was in so einer Position besser nicht ans Tageslicht kommen soll.

Natürlich kann man das Vergehen nicht ignorieren oder ungestraft lassen. Man soll KT den Doktor aberkennen, man soll von mir aus seinen Gehalt kürzen, zu 1000 Stunden Sozialarbeit verdonnern oder sonstige Bußen auferlegen. Aber er hat seinen Job gut gemacht und so jemand ist mir allemal lieber als ein zwar weißwestiger, dafür aber uninspirierter, phantasieloser und überforderter Bürokratpolitiker ohne Führungsqualität.
steppenhund - 5. Mär, 11:29

Naja, da kommen wir nicht zusammen;)
Aber hör dir einmal das Interview an:
http://eugenefaust.twoday.net/stories/nochmal-ktvg
-
Und dann frage ich dich, ob Du dich auf eine Stufe mit den Leuten stellen willst, die ihn so vehement verteidigen?
PeZwo - 5. Mär, 11:55

ich will ihn gar nicht verteidigen, vergiss Guttenberg. Mich interessiert ein deutscher Minister nicht besonders. Ich habe dies nur als Anlass genommen um über eine Entwicklung zu schreiben, die ich schon lange verfolge und die mir nicht besonders gefällt. Über die Tendenz zum gläsernen Politiker und der "political correctness" als Waffe.
steppenhund - 5. Mär, 13:03

Da hab ich dir ja schon recht gegeben:)
Also sprach teacher
am Samstag, 5. März 2011, 18:33 wie folgt:

Ich stimme dir zu ... und 70 % der Deutschen wollen lt. Umfrage ihren KT wieder zurück.

Aber seinen Titel und seine Ehre hat er verwirkt. Er ist nicht ein Hochstapler, ein Dieb, ein Lügner. der das politisches Vertrauen, das ihm geschenkt wurde, erschlichen hat?

Jeder(r) sollte zittern, der sich solcher Medthoden bedient - nicht nur Politiker.

PeZwo - 5. Mär, 20:39

ich möchte jetzt nicht wieder in eine Rolle des KTvG - Verteidigers kommen... grundsätzlich denke ich jedoch, dass jemand mein politisches Vertrauen dann jemand bekommt, der in der Gegenwart Handlungen setzt und agiert, die ich nachvollziehen kann.

Und ich möchte nicht wissen, was bei einer Überprüfung aller Doktorarbeiten der letzten 30 Jahre alles raus kommen würde.
Also sprach castagir
am Samstag, 5. März 2011, 19:13 wie folgt:

Herrlicher Artikel, Glückwunsch zu Deiner Einstellung.

Er wäre wie jeder andere auch gesteinigt worden, hätte er vor 30 Jahren sein Meerschweinchen ersäuft. Nur im gedanklichen Trennen von Dingen die miteinander nichts zu tun haben, ist man hierzulande weiter entfernt als jemals zuvor. Hier hängt immer alles mit allem zusammen - Hauptsache man hat etwas, dass man jemandem entgegen halten kann, der entweder Erfolg hat, oder nicht stromlinienförmig ist.

PeZwo - 5. Mär, 20:45

Ich habe zufällig vor einigen Monaten ein Interview mit KTvG gesehen, wo er selbst über sich selbst und seiner Popularität sagte: "... .... irgendwie macht mich das nachdenklich. Der Absturz hätte schon längst kommen müssen..."

Nun ist er da, der Absturz. Und es ist auffallend, dass der Sturm bei den beliebten Politikern deutlich dramatischer ausfällt.
Also sprach Peter Schwarzmüller (Gast)
am Samstag, 5. März 2011, 23:00 wie folgt:

Naja, Herr Guttenberg hat betrogen...

Naja, Herr Guttenberg hat betrogen (es waren keine Schusseligkeiten). Und er hat zunächst behauptet, dass er keine Fehler gemacht hat. Dann hat er zugegeben Fehler gemacht zu haben, aber sein Verhalten lediglich erklärt (familiäre Belastung und so...) und nicht entschuldigt. Er musste letztlich abtreten, weil er nicht zu seinen Fehlern gestanden hat, sondern gewartet hat, bis alles ans Tageslicht gekommen ist. Er hat sich kurz vor der Plagiatsaffaire bereits ins Abseits gebracht, indem er auf Bild-Zeitungs-Drohungen hin den Gorch-Fock-Kapitän abgesetzt hat. Aber davon redet jetzt keiner mehr. Dieser Mann war nicht wegen seiner Doktorarbeit nicht mehr haltbar, sondern wegen seines Umgangs mit seiner Person und den Medien.
Woher sollte nach dieser Affaire noch jemand wissen, wann Herr Guttenberg die Wahrheit sagt, oder im Sinne seines Vorankommens Dinge verschweigt, betrügt oder manipuliert. Die Grenze darf nicht Herr Guttenberg setzen.

PeZwo - 5. Mär, 23:47

Hätte er es sofort zugegeben, hätte dies nichts geändert. Es wäre von Seiten der Opposition und den meisten Medien das Fehlverhalten thematisiert worden, solange er im Amt ist. Das war ihm sicher klar. So wird er anfangs gezockt haben... vielleicht wird nicht so heiß gegessen wie es gekocht wird. Im Prinzip hatte er nichts mehr zu verlieren. verdammt, jetzt werde ich fast schon wieder zum Guttenberg-Verteidiger.

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